Interview von Paulette Lenert im Tageblatt

"Erst einmal bündeln und vernetzen"

Interview: Luc Laboulle (Tageblatt)

Tageblatt: Sie waren lange Zeit Beamtin in unterschiedlichen Ministerien und haben Ministern zugearbeitet. Wie fühlt es sich an, selbst Ministerin zu sein? 

Paulette Lenert: Es ist anders, etwas befremdend. Es fällt mir manchmal schwer, loszulassen. Içh habe immer noch die Tendenz, selbst Projekte umzusetzen, Micromanagement zu betreiben. Ich muss mich daran gewöhnen, mehr zu delegieren.

Tageblatt: Sie sind Luxemburgs erste Ministerin für Verbraucherschutz. Wieso braucht das Land ein solches Ministerium? 

Paulette Lenert: Wegen der Komplexität des Marktes und der Produktionsketten kann man heute nicht mehr davon ausgehen, dass der Bürger sich überall alleine durchkämpfen kann. Ich sehe es als rezenten öffentlichen Bildungsauftrag, dem Bürger alle notwendigen Informationen zukommen zu lassen, damit er versteht, was er konsumiert und welche ökologischen Auswirkungen die Produkte haben, um sich eigenständig auf dem Markt zu positionieren. 

Tageblatt: Wie unterscheiden sich die Aufgaben des Ministeriums von denen des Luxemburgischen Verbraucherverbands (ULC) oder des Europäischen Verbraucherzentrums (CEC)?

Paulette Lenert: ULC und CEC sind eher dazu da, die Menschen zu beraten und ihnen Rechtsschutz zu bieten. Auf politischer Ebene wollen wir als Ministerium vor allem Informationen bereitstellen und für Transparenz sorgen, was nicht unbedingt in den Aufgabenbereich der Konsumentenschutzverbände fällt. Ihre Rolle besteht darin, den Finger in die Wunde zu legen. Danach ist es an der Politik, zu handeln. 

Tageblatt: Wie wollen Sie diese Informationen an die Konsumenten vermitteln?

Paulette Lenert: Es gibt bereits viele Informationen, doch sie sind sehr verstreut. Man muss aktiv nach ihnen suchen. Deshalb wollen wir ein userfreundliches Online-Verbraucherportal schaffen, um diese Informationen zu bündeln und die einzelnen Akteure besser miteinander zu vernetzen. 

Tageblatt: Mit welchen Themen befasst sich das Ministerium für Verbraucherschutz? 

Paulette Lenert: Ein großes Thema ist die Lebensmittelsicherheit. Dieser Bereich ist zurzeit noch auf die Ministerien für Gesundheit und Landwirtschaft verteilt, soll aber künftig in das Ministerium für Verbraucherschutz überführt werden. Ein Kommissariat für Qualitätskontrolle wurde bereits eingesetzt, doch es kontrolliert noch unterschiedliche Akteure in verschiedenen Bereichen. Diese Akteure sollen künftig gebündelt werden, damit die ganze Lebensmittelkette in einer Verwaltung abgedeckt ist. Fin weiterer Schwerpunkt ist die Produktsicherheit, die sich noch in der Kompetenz des Wirtschaftsministeriums befindet. Ein anderer Bereich sind die Finanzdienstleistungen. 

Tageblatt: Wie wollen Sie konkret vorgehen? 

Paulette Lenert: Erst wollen wir die Kontakte mit den öffentlichen Akteuren herstellen, die an der Schnittstelle mit dem Konsumentenschutz sind, und mit den Bürgern klären, wo sie Handlungsbedarf sehen und was sie prioritär interessiert. Auf dieser Grundlage will ich bis Ende des Jahres einen Dreijahresplan mit Prioritäten festlegen.

Tageblatt: Fällt der Datenschutz unter den Konsumentenschutz? 

Paulette Lenert: Datenschutz ist einer der Kernbereiche, die nicht direkt von dem neuen Ministerium abgedeckt sind. Doch wir müssen die Anliegen und Sorgen der Bürger auch in diesen Bereichen berücksichtigen. Ein weiteres prioritäres Thema ist der Wohnungsbau. Wir hatten auch schon Vorgespräche mit der Kontrollbehörde für das Finanzwesen CSSF. Dabei ging es nicht nur um die umstrittenen Bankschaltergebühren, sondern die CSSF ist auch sehr aktiv in der Weiterbildung der Bürger im Hinblick auf den Umgang mit Geld und den Konsum von Finanzdienstleistungen. Diese Verbraucherbildung ist ein wichtiges Thema. Konsumenten brauchen Instrumente und das notwendige Wissen, um eigenständig und verantwortungsvoll handeln zu können.

Tageblatt: Das eigenständige und verantwortungsvolle Handeln nimmt einen immer größeren Stellenwert ein, wie sich nicht zuletzt beider EU-Datenschutzverordnung gezeigt hat. Verantwortungsvolles Handeln setzt jedoch voraus, dass jeder Verbraucher vollständig über seine Rechte informiert ist und die Mittel hat, diese einzuklagen. Geht dieser rationalistische Ansatz in die richtige Richtung? 

Paulette Lenert: Ich glaube, dass es eine Illusion ist. Man sieht es beim Surfen im Internet. Viele Menschen stimmen den Datenschutzrichtlinien auf Internetseiten sofort zu, damit es schnell weitergeht, ohne aber zu wissen, was sie da erlauben. Unser Bildungsauftrag macht Sinn, denn die Sachlage ist so komplex, dass man nicht davon ausgehen kann, dass die Menschen von sich aus die ganze Energie aufbringen, um sich bis ins letzte Detail damit auseinanderzusetzen. Die Diskrepanz zwischen denen, die am Markt aktiv sind, und den einzelnen Konsumenten ist zu groß. Deshalb müssen wir helfen, die Informationen so aufzubereiten, dass sie für jeden verständlich sind. 

Tageblatt: Luxemburg verfügt nicht über reine Mieterschutzvereinen, wie es sie in anderen Ländern gibt. Sehen Sie Handlungsbedarf? 

Paulette Lenert: Die ULC leistet in diesem Bereich gute Arbeit. Doch es gibt sicher noch Handlungsbedarf. Wie dieser konkret aussehen soll, müssen wir noch prüfen.

Tageblatt: Im Bereich der Lebensmittelsicherheit stehen zurzeit insbesondere die Freihandelsabkommen mit Kanada und dem Mercosur in der Kritik. Wie können Sie sicherstellen, dass keine gentechnisch veränderten Organismen nach Luxemburg gelangen?

Paulette Lenert: Generell sollte bei Freihandelsverträgen der Standpunkt der Konsumenten stärker berücksichtigt werden. In dieser Hinsicht stellt die Schaffung des Ministeriums für Verbraucherschutz einen klaren Vorteil dar. Ich sehe es als meinen Auftrag, bei der EU-Kommission zu orten, welche Verhandlungen näher verfolgt werden müssen. 

Tageblatt: Die Regierung plant schon seit Jahren die Einführung von Sammelklagen. Wo sind diese Planungen dran? 

Paulette Lenert: Luxemburg ist einer der wenigen EU-Staaten, in denen Sammelklagen nicht möglich sind. In manchen Ländern wie Portugal gibt es das schon seit über 40 Jahren. Parallel gibt es in der EU das Projekt einer Direktive, die Konsumenten in jedem Land des gemeinsamen Binnenmarkts minimale Garantien im Hinblick auf Sammelklagen einräumen möchte. Die Arbeit an dieser Richtlinie geht nur langsam voran, eben weil schon viele unterschiedliche Systeme in den jeweiligen Staaten existieren. Luxemburg wollte wohl diese Direktive abwarten, doch wegen der ständigen Verzögerungen wurde im Regierungsprogramm festgehalten, selbst aktiv zu werden. Ich habe in den letzten Monaten die bestehenden Systeme analysiert und die Minimalstandards für die EU-Richtlinie sind schon ersichtlich. Ich werde versuchen, mich an diesen Kriterien und an den „Best practices" der anderen Länder zu orientieren. In den nächsten Monaten werden wir prüfen, ob wir das Gesetzesprojekt zur Sammelklage nur auf den Konsumentenschutz beschränken oder auch auf allgemeinere Bereiche wie den Umweltschutz ausweiten. Bis Ende dieses Jahres will ich ein Gesetzesprojekt vorlegen.

Tageblatt: Luxemburg investiert seit zehn Jahren ein Prozent seines Bruttoinlandprodukts in die Entwicklungshilfe. Was passiert mit dem Geld? 

Paulette Lenert: Die Hilfe Luxemburgs ist nicht nur großzügig, sondern wird auch gewissenhaft eingesetzt, wie eine rezente Untersuchung des „Overseas Development Institute" bestätigt. Wir investieren viel darin, auch effizient zu sein. Ich möchte aber, dass es künftig noch transparenter wird. Auf der Kommunikationsebene fehlt mir noch, dass wir den Bürgern Rechenschaft ablegen. Ich möchte, dass die Menschen künftig bessere Einsicht in die verschiedenen Entwicklungsprojekte haben.

Tageblatt: Das meiste Geld fließt in Projekte in Partnerländern. Nach welchen Kriterien werden diese ausgesucht? 

Paulette Lenert: Luxemburg hat sieben Partnerländer, in denen wir uns in Zusammenarbeit mit den dortigen Regierungen langfristig engagieren. Ich will diesen Kreis nicht erweitern, sondern eher die Zusammenarbeit in den existierenden Partnerländern noch optimieren. Die Beziehungen zu diesen Ländern sind einerseits historisch gewachsen. Andererseits liegen fünf dieser Staaten in oder an der Sahelzone, die eine der größten Problemregionen überhaupt darstellt. Wir koordinieren unsere Entwicklungshilfe natürlich auch in einer gemeinsamen Strategie mit der EU.

Tageblatt: Welche konkrete Hilfe kann Luxemburg leisten? 

Paulette Lenert: Digitale Technologien und Innovationen werden künftig in der Entwicklungshilfe eine wichtige Rolle spielen. Wir sind bereits in diesem Bereich aktiv. Mit dem Satellitenbetreiber SES arbeiten wir daran, die Netzabdeckung auf dem afrikanischen Kontinent zu verbessern. Mit Satmed können wir medizinische Dienste per Satellit zu den Leuten bringen. Auch im Bereich der Bildung tut sich viel. Mit unseren Kompetenzen können wir künftig eine stärkere Rolle in Europa einnehmen, um digitale Lösungen in der Entwicklungshilfe voranzutreiben. 

Tageblatt: Wäre es nicht besser, anstelle von Entwicklungshilfe faire Abkommen mit nicht-industrialisierten Staaten abzuschließen, um das wirtschaftliche Ungleichgewicht zu reduzieren? 

Paulette Lenert: Bei unseren Partnerländern sind wir ja nicht mehr in der klassischen Entwicklungshilfe, sondern beschreiten den Weg der Hilfe zur Selbsthilfe. Wir berücksichtigen und unterstützen die Programme dieser Länder. Wenn eine Regierung das nicht will und nicht mitarbeitet, kann das natürlich nichts werden. Bei unseren Fünfjahresplänen müssen wir daher die Bereitschaft der Regierungen für eine Zusammenarbeit evaluieren. Wenn diese Bereitschaft nicht besteht, könnte das ein Ausschlusskriterium sein. Man muss auch eine Reihe von Anforderungen stellen, um auf Augenhöhe zusammenarbeiten zu können. 

Tageblatt: Wo verbringen Sie Ihren Urlaub? 

Paulette Lenert: Ich bleibe zu Hause. Als Ministerin bin ich schon viel unterwegs, deshalb freue ich mich darauf, zwei Wochen in meinem Garten zu sitzen und etwas umherzufahren.

 

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