Interview mit Franz Fayot im Forum

"Wir wollen die Sahel-Region nicht im Stich lassen"

Interview: Forum

Forum: Herr Minister, hatten Sie, bevor Sie das Ressort der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Angelegenheiten übernahmen, bereits Kontakte zu Luxemburgs Partnerländern bzw. generell zu ärmeren -Ländern in Südamerika, Südostasien und Afrika?

Franz Fayot: Eher weniger. Im Februar 2020, nachdem ich zum Minister ernannt worden war, besuchte ich Kap Verde. Dann gab es aufgrund der Pandemie eine längere Pause. Letztes Jahr reiste ich nach Ruanda, dann nach Senegal. Im September 2021 war ich in Amman, in Jordanien, um mehrere Flüchtlingslager zu besuchen.

Erbsünde Kolonialisierung

Forum: Haben diese Visiten etwas in Ihnen ausgelöst? Hat sich Ihre Perspektive auf die Problematik der Kooperationspolitik dadurch geändert?

Franz Fayot: Zweifellos haben diese Reisen meine Sicht stark verändert. Ich habe mich immer für Entwicklungszusammenarbeit interessiert, allerdings eher auf einer abstrakten, intellektuellen Ebene. Letzthin noch habe ich ein Buch über die Françafrique, also die französische Afrikapolitik nach der Dekolonisation, gelesen. Wenn man aber vor Ort ist, bekommt man einen ganz anderen Blick auf die gesamte Thematik und Problematik. Man sieht, was tatsächlich bewirkt wird durch die Projekte, die wir in unseren Partnerländern verwirklichen. Man beginnt zu verstehen, was es z.B. für ein Land wie Jordanien bedeutet, Millionen Flüchtlinge aufgenommen zu haben. Teilweise leben sie in Flüchtlingslagern wie Al-Azraq, wo vor allem syrische Kinder und Jugendliche untergebracht sind, oder in Amman selbst, dessen Bewohner überwiegend Palästinenser sind. Man muss das alles mit eigenen Augen sehen, um es überhaupt erst begreifen zu können.

Forum: Sie haben die Françafrique erwähnt, die nach der Unabhängigkeit der afrikanischen Staaten Anfang der 1960 er Jahre der wirtschaftlichen und politischen Interessenwahrung Frankreichs diente. War es ein Fehler, dass die Kolonialmächte ihre früheren Besitztümer nicht loslassen wollten, lag die "Erbsünde"— und damit die Ursache fürr die heutigen Probleme — bereits in der Art und Weise, wie die Entkolonialisierung durchgeführt wurde?

Franz Fayot: Die Erbsünde lag schon in der Kolonialisierung an sich: im "Scramble for Africa" im 19. Jahrhundert, im Ausschlachten eines Kontinents, in der Unterwerfung einer ganzen Zivilisation mit dem Ziel, den Norden reich zu machen. In gewisser Weise war es naiv zu glauben, dass die Kolonialmächte, im Zuge der Dekolonisation, von einem Tag auf den anderen tugendhaft würden, um ihre früheren Kolonien großmütig dabei zu unterstützen, sich zu ökonomisch eigenständigen und funktionierenden Demokratien zu entwickeln.

Herr zweier Ministerien

Forum: Sie, Herr Fayot, sind nicht nur Kooperations-, sondern zugleich auch Wirtschaftsminister. Ist das nicht eine problematische Kombination? In Ihrer Erklärung zur Kooperationspolitik im Parlament haben Sie betont, Sie wollten stärker mit Privatunternehmen zusammenarbeiten. Zugleich sagten Sie, die aide liée sei für Sie ein No-Go. Wie muss man diese Aussagen verstehen?

Franz Fayot: Ich glaube nicht, dass die Verbindung problematisch ist. Das Prinzip der aide non liée ist ein unantastbarer Bestandteil unserer Kooperationspolitik, und ich bin durchaus in der Lage, beide Ressorts voneinander zu trennen. In meiner Chamber-Rede habe ich mich u. a. auf die Finanzierung der gesetzten Ziele bezogen: Wir können unsere ODDs [objectifs de développement durable] nicht allein mit der APD [aide publique au développement] erreichen, weil der finanzielle Aufwand zu hoch ist. Also heißt es, Mittel und Wege zu finden, wie wir z. B. die Fondsindustrie verstärkt an der Projektfinanzierung beteiligen können. Ich denke an unsere langjährige Zusammenarbeit mit ADA [Appui au développement autonome], eine spezialisierte NGO in Sachen Mikrofinanz und finanzielle Inklusion. Andererseits sehe ich eine ganze Reihe von Wirtschaftsbereichen, die gerade in der Aufbauphase sind, seien es die Informations-und Kommunikationstechnologien (TIC) oder die Weltraumtechnologie. Denken Sie an die Erdbeobachtung per Satellit, wo man im Kampf gegen den Klimawandel, in der Landwirtschaft oder zur Prävention von Naturkatastrophen Lösungen finden kann. Diese wirtschaftlichen Innovationen werden ja größtenteils im Privatsektor getätigt, doch gleichzeitig können wir sie auch für die Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe nutzbar machen.

Forum: Soll das heißen, die jeweiligen Privatunternehmen investieren nicht direkt in den betroffenen Ländern, sondern in Know-how,-das in Luxemburg entsteht und das Ihr Ministerium im Kontext der Kooperationspolitik zu nutzen weiß?

Franz Fayot: Genauso ist es. Darüber hinaus stellen wir aber auch Know-how direkt zur Verfügung. In Kap Verde entstand z. B. das CERMI [Centre pour les énergies renouvelables et la maintenance industrielle], ein Ausbildungszentrum, das auf erneuerbare Energien spezialisiert ist. Es geht darum, junge Erwachsene vor Ort auszubilden, damit sie in der Lage sind, Photovoltaik-Module und Windräder zu reparieren. Bei dem Projekt wirken auch luxemburgische Handwerksbetriebe mit, die ihre Kompetenzen zur Verfügung stellen und weitergeben. Doch es gibt noch weitere Beispiele: In der Forschung. arbeiten wir hierzulande mit dem SnT [Interdisciplinary Centre for Security, Reliability and Trust] zusammen, mit dem wir u. a. Projekte im Bereich der Cybersicherheit umsetzen. Eines unserer Aushängeschilder ist die satellitengestützte Kommunikationsplattform emergencylu, die mittlerweile bei allen humanitären Krisen beansprucht wird. Sie wurde gemeinsam von SES Engineering, Luxembourg Air Rescue, Hitec Luxembourg und der luxemburgischen Kooperation entwickelt und steht der internationalen Gemeinschaft im Katastrophenfall zur Verfügung. Dies sind nur einige Fallbeispiele, wie man mit dem Privatsektor zusammenarbeiten kann.

Forum: Im forum-Kurzinterview (erschienen in Heft Nr. 423, Januar 2022) nennen Sie in diesem Zusammenhang das Unternehmen B Medical Systems, das Transport-Kühlboxen von Hosingen nach Burkina Faso liefert. Man hätte annehmen können,. dass das Ministerium die Firma finanziell unterstützt, um in Burkina Faso zu investieren — aber dann würde es sich ja nicht um Entwicklungshilfe handeln.

Franz Fayot: Nein, wir erwerben diese Kühlboxen und spenden sie anschließend. Sie haben einen hohen Mehrwert, da man mit ihnen nicht nur Medikamente und Impfstoffe lagern, sondern dank Solartechnik auch sicher in abgelegene Regionen bringen kann.

Forum: Wäre es nicht sinnvoller, wenn Produktionskapazitäten auf dem afrikanischen Kontinent entstünden?

Franz Fayot: Bei B Medical Systems kommen u. a. Robotik und Automatisierungsanlagen zum Einsatz. Die Idee, vor Ort, also in Afrika selbst zu produzieren, klingt sehr gut, ist in Anbetracht des Equipments, das man hierfür benötigt, jedoch nicht leicht umsetzbar. Trotzdem sind wir am überlegen, wie man z. B. Impfstoffe in Entwicklungsländern herstellen könnte. In Ruanda und in Senegal sollen Projekte zur Impfstoffproduktion anlaufen. Das ist natürlich ein komplexes Unterfangen, da Kapazitäten, technische Expertise und qualifiziertes Personal benötigt werden.

Forum: Ein gewisses Abhängigkeitsverhältnis bleibt also: Westliche Unternehmen und multinationale Konzerne, die über die Möglichkeiten verfügen, Forschung und Entwicklung zu betreiben, dominieren den Markt. Wäre es trotzdem nicht möglich, Partnerschaften zu knüpfen, damit auch im Globalen Süden die Chance besteht, lokale Akteure mit eigenen Entwicklungs- und Produktionskapazitäten zu fördern?

Franz Fayot: Man muss stets auch sehen, wo die Bedürfnisse liegen. Wenn z. B. eines unserer Partnerländer ein Stahlwerk errichten will und um Unterstützung bittet, sollte man sowas natürlich nicht ausschließen. Es gibt in diesem Bereich auch die UNIDO [United Nation Industrial Development Organization], eine spezialisierte Agentur der Vereinten Nationen, die sich um industrielle Entwicklung kümmert und mit der ich mich in nächster Zeit u. a. über Projekte erneuerbarer Energien in unseren Partnerländern, insbesondere der Sahel-Region, austauschen möchte.

Luxemburg und die Sahel-Zone

Forum: Stichwort Sahel-Zone. Dort liegen gleich vier Partnerländer Luxemburgs: Burkina Faso, Mali, Niger und Senegal. Mit Ausnahme von Senegal ist die politische und militärische Lage sehr instabil, Menschenrechte werden nicht respektiert, usw. Im Kontext der Kooperationspolitik erscheint dies alles sehr problematisch. Wie stehen Sie zum devoir de vigilance und zum Schutz jener Kooperationshelfer, die wegen ihres Einsatzes für Menschenrechte getötet oder verfolgt werden?

Franz Fayot: Es bestehen vor allem Sicherheitsprobleme durch Aufständische, Djihadisten und bewaffnete Gruppierungen, die dort aktiv sind. Ihre Präsenz erschwert die Arbeit vor Ort ungemein. Insbesondere in Mali, das zurzeit über keine legitime Regierung verfügt, stellt sich die Frage nach dem Umgang mit den Putschisten — was' aber nicht heißt, dass man die Entwicklungskooperation beenden sollte. Dass dort auch die russische Söldnergruppe Wagner präsent ist, erschwert die Dinge zusätzlich. Dennoch stellen nur die wenigsten Staaten ihre Entwicklungszusammenarbeit infrage. Die Sicherheitskrise und bewaffnete Konflikte werden nämlich auch durch die Perspektivlosigkeit der Jugendlichen genährt. Deshalb bin ich davon überzeugt, sämtliche Initiativen im Bereich der Bildung und Ausbildung unbedingt fortzuführen. Obschon unsere Leute vor Ort derzeit die allergrößte Mühe haben, die Projekte am Laufen zu halten, da man kaum noch von A nach B gelangt.

Forum: Als Kooperationsminister sind Sie also fest entschlossen, weiterhin in Mali und anderen Ländern der Sahel-Region zu bleiben?

Franz Fayot: Ja. Bis jetzt sieht es nicht so aus, als müssten wir uns aus Sicherheitsgründen zurückziehen. Natürlich ist die Lage in den einzelnen Ländern unterschiedlich: In Mali herrscht die Militärjunta, in Niger gibt es mittlerweile eine stabilere Regierung, in Burkina Faso ist die Sicherheitslage nach wie vor prekär.' Dennoch bleiben wir im Dialog. Sicherlich wäre es wesentlich einfacher, unsere Präsenz zu beenden, doch letztlich geht es darum, langfristig etwas zu erreichen.

Forum: In Mali dominiert aber doch mittlerweile der militärische Aspekt so stark, dass die Entwicklungshilfe riskiert "unterzugehen"?

Franz Fayot: Die verschiedenen Krisen sind zweifellos miteinander verbunden — das ist der berühmte Nexus: Sie nähren sich gegenseitig. Klimakrise, Dürren, Probleme in der Landwirtschaft führen zu Perspektivlosigkeit, Unsicherheit und bewaffneten Konflikten. In einem solchen Kontext der Polykrisen wird die Entwicklungskooperation zu einer äußerst komplexen Aufgabe, zu einer realen Sisyphusarbeit.

Forum: Wie beurteilen Sie die immer größere Einflussnahme von China (und Russland) in vielen afrikanischen Ländern? Ist diese Präsenz global förderlich, leistet China damit einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung, oder betrachten Sie dies eher kritisch?

Franz Fayot: Die chinesische Afrikapolitik ist sehr strategisch und langfristig ausgerichtet. Meist handelt es sich um große Infrastrukturprojekte. In Kap Verde beispielsweise bauten die Chinesen eine Universität. Aber auch kleinere Projekte, Darlehen und Kredite werden angeboten. Chinas Präsenz in Afrika ist sehr real, aber nicht nur dort, sondern weltweit, auch in Luxemburg. Das ist eine Realität. In diesem Sinne ist es, als Luxemburger und Europäer, in unserem Interesse, in den Entwicklungsländern eine wirklich qualitative Arbeit zu leisten, um so die Nase vorn zu behalten. Ich war vor kurzem in Senegal. Präsident Macky Sall sagte mir, für ihn sei die Lage klar: In Senegal wird französisch gesprochen. Das Land teilt eine Vergangenheit mit Frankreich und liegt sowohl geographisch als auch sprachlich und kulturell näher an Europa als an China oder Russland. Um einen wirklichen Impakt auf Bildung, Gesundheit, erneuerbare Energien, den Kampf gegen die Klimakrise usw. zu haben, müssen wir uns als Europäer allerdings besser organisieren, koordinieren, austauschen und absprechen das ist Teil der sogenannten "Team Europe approach".

Landwirtschaft

Forum: Ein wichtiger Aspekt der Luxemburger Kooperationspolitik ist die Landwirtschaft. Dank ihr könn(t)en die betroffenen Länder zu Selbstversorgern unabhängig vom Weltmarkt werden. In Ihrer Parlamentsrede haben Sie den Agri-Business Capital Fund, kurz ABC Fund, erwähnt. Wie stehen Sie als Ministerium zu einem solchen Privatfonds? Nach unseren Informationen unterstützt dieser eher die industrielle Landwirtschaft als Kleinbauern.

Franz Fayot: Ich bin mir dieser Kritik bewusst, und ich habe sie auch im Bericht des Cercle de coopération des ONGD gelesen. Der ABC Fund ist ein sogenannter De-risking-Fonds, in den die Luxemburger Regierung investiert hat. Er wurde von der Impact-Investing-Agentur Bamboo Capital Partners aufgelegt, die auf Entwicklungszusammenarbeit spezialisiert ist. Wir haben ihn gemeinsam mit der FAO [Food and Agriculture Organization] der Vereinten Nationen konzipiert. Es handelt sich um einen Fonds, der strengen ökologischen, sozialen und ethischen Kriterien unterliegt, damit Kleinbauern korrekt behandelt und bezahlt werden. Die Kritik wurde laut, dass er nicht rein auf Selbstversorgung ziele, sondern auch auf den Export. Das stimmt durchaus, aber es ist die Mischung, die es macht: In Entwicklungsländern sollte die Landwirtschaft die Bedürfnisse der eigenen Bevölkerung befriedigen. Zugleich ist es sinnvoll, wenn Unternehmen am Exportmarkt teilnehmen können. Meiner Ansicht nach ist der ABC Fund ein Instrument, mit dem man verschiedenste Geldgeber für die Förderung der Landwirtschaft interessieren kann.

Forum: Gibt es Kontrollmechanismen, um die Einhaltung der Kriterien des ABC Fund zu überprüfen?

Franz Fayot: Es werden ausführliche Reportings erstellt. Auch unser Austausch mit der FAO ist meiner Meinung nach sehr transparent.

Der Fall Bolloré und die NGOs

Forum: Früher, unter den Präsidenten de Gaulle und Pompidou, hatte die Françafrique ihr Büro im Elysée, und der zwielichtige Jacques Foccart zog als Monsieur Afrique die Fäden. Mittlerweile scheint es, als habe die Françafrique in Luxemburg Quartier bezogen. Deren wichtigster Akteur ist heute der Milliardär Vincent Bolloré. Dieser besitzt auch eine Holding im Großherzogtum. Vor kurzem zitierte er fünf luxemburgische und belgische NGOs vor Gericht, weil sie ihn angeblich diffamiert hatten, indem sie ihm Land Grabbing und andere Praktiken vorwarfen. Wie positionieren Sie sich als Luxemburger Kooperationsminister und Hauptpartner der NGOs, die seit Jahrzehnten gute Arbeit leisten, zu diesem Fall? Wie ist es möglich, dass ein Konzern wie Bolloré engagierte Vertreter der Zivilgesellschaft wegen freier Meinungsäußerung vor Gericht zerren kann?

Franz Fayot: Ich bin mit dem Fall nicht genug vertraut, um mich dazu äußern zu können und möchte auch nicht ein laufendes Gerichtsverfahren kommentieren. Sie fragen, wie ich als Minister ein solches zulassen kann? Verhindern kann ich es jedenfalls nicht. Dennoch müsste man als Unternehmer dieser Größenordnung, meiner Meinung nach, dickhäutiger sein, was solche Kritiken angeht.

Forum: Viele NGOs sehen ihre Mission auch politisch und machen von ihrem verbrieften Recht Gebrauch, sich in einem Rechtsstaat politisch frei zu äußern. Weniger aus einer formaljuristischen, sondern vielmehr aus einer politischen Perspektive ist Bollorés Vorgehen doch höchst bedenklich, oder? Könnten Sie sich vorstellen, als Ministerium in diesem Fall die Anwaltskosten der NGOs zu übernehmen?

Franz Fayot: Nun, wir unterstützen unsere NGOs tatkräftig, auch finanziell, bei der Umsetzung ihrer Projekte und vieler Aktivitäten, aber wir sind keine Vollkasko-Versicherung bezüglich ihrer politischen Positionen.

Forum: Wie kann man die Zusammenarbeit mit den NGOs verbessern? Diese würden gerne stärker in die Programmgestaltung der Kooperation, nicht nur in die Ausführung, eingebunden werden.

Franz Fayot: Das Ministerium steht im regelmäßigen Austausch mit den NGOs. Alle zwei Monate kommt eine gemeinsame Arbeitsgruppe zusammen. Sämtliche Themen, die von beiden Seiten — frei — diskutiert werden wollen, können auf die Tagesordnung gesetzt werden. Es gibt auch ein interministerielles Komitee, das im Prinzip alle zwei Monate tagt, bei dem die NGOs stets eingeladen werden, wenn es um die Politikkohärenz geht. Einmal im Jahr findet ein Treffen statt, dass ausschließlich der Diskussion der Politikkohärenz gewidmet ist. Zudem hat der Cercle des ONGD jederzeit die Möglichkeit, Termine mit meinen Mitarbeitern oder mir wahrzunehmen.

Forum: Man kann also nicht behaupten, es werde nicht auf die NGOs gehört. Eine Notwendigkeit, ihnen ein Mitbestimmungsrecht bei der Programmgestaltung zu geben, sehe ich jedoch nicht. Die Programmierung entsteht hauptsächlich im Dialog mit unseren Partnerländern. Das ist ein ganzer Prozess, an dessen Ende ein PIC [Programme indicatif de coopération] mit dem jeweiligen Land unterzeichnet wird. Jede gute Idee der NGOs wird dabei mit an Bord genommen. Sie arbeiten bei vielen Projekten mit, die fortgesetzt werden, wenn sie sich bewähren. Zudem fließt ein großer Teil der öffentlichen Gelder für Entwicklungshilfe an die NGOs, um ihre Projekte an den verschiedensten Orten der Welt zu unterstützen.

Forum: Sie haben die PIC angesprochen: Beteiligen sich an ihrer Ausarbeitung neben den luxemburgischen NGOs auch solche aus den Partnerländern?

Franz Fayot: Ja, es beschränkt sich nicht auf einen Dialog zwischen unserem Ministerium und den Autoritäten im Partnerland. Auch NGOs, die in bestimmten Bereichen aktiv sind, sowie LuxDev, die vor Ort vertreten ist, werden konsultiert.

Forum: Was erhoffen Sie sich davon, LuxDev und das Ministerium näher zusammenzuführen? Ist das nicht ein Schritt in die falsche Richtung, weil das Risiko besteht, dass die relative Aktionsfreiheit der Agentur verloren geht?

Franz Fayot: LuxDev leistet ohne Zweifel eine exzellente Arbeit. Dass sie auch von anderen Ländern sowie der Europäischen Union beauftragt wird, um Projekte zu realisieren, spricht ja wohl für sich. Manchmal hapert es jedoch ein wenig an Abstimmung und Kommunikation: Es ist nicht immer klar, was Aufgabe von LuxDev und was Aufgabe des Kooperationsministeriums ist. Die Kooperation sollte sich in erster Linie um die Ausformulierung der Programme kümmern — in Zusammenarbeit mit LuxDev, man braucht schließlich immer Feedback vom Terrain —, auf strategische und politische Aspekte beziehen und sich nicht in die operationelle Projektumsetzung einmischen. LuxDev hingegen ist die luxemburgische Entwicklungsagentur in Form einer Aktiengesellschaft mit eigenem Verwaltungsrat und dem Staat als Anteilseigner. Ihre Mission ist es, die Projekte der Kooperationspolitik umzusetzen und weniger, selbstständige Aktivitäten zu definieren. Es gibt also einen Bedarf, die Partnerschaft besser aufeinander abzustimmen — ohne LuxDev damit an die kurze Leine nehmen zu wollen oder deren Verdienste irgendwie zu schmälern.

Corona und die Frage nach der Patentfreigabe

Forum: Die Corona-Pandemie hat uns in den vergangenen zwei Jahren in Geiselhaft genommen, sicher auch in der Kooperation. Von einer weltweit flächendeckenden Impfung als einzig möglichem Ausweg aus der Krise sind wir leider noch weit entfernt. Covax war eine gutgemeinte Initiative. Leider hat es an der Umsetzung gehapert, mit dem Ergebnis, dass derzeit in einzelnen afrikanischen Ländern weniger als ein Prozent der Bevölkerung geimpft ist. Wäre es aus europäischer und luxemburgischer Sicht nicht angebracht, die Patente auf Corona-Impfstoffe aufzuheben, um endlich große Produktionskapazitäten im Globalen Süden zu schaffen — statt bloß Überschussimpfstoffe an Covax zu geben, was ohnehin bei weitem nicht ausreicht?

Franz Fayot: Ich habe es schon mehrmals gesagt: Bestünde die Lösung darin, den Patentschutz aufzuheben, würde ich diesen Weg gehen. Ich finde es inakzeptabel, dass Pharmaunternehmen Profit aus einer Kalamität wie der Pandemie schlagen — wohlwissend, dass sie bereits Profite in Milliardenhöhe generiert haben und die Impfstoffe größtenteils mit öffentlichen Geldern entwickelt wurden. Ich stehe der Diskussion über eine Patentfreigabe also sehr offen gegenüber. AstraZeneca, das Vakzin, das am meisten in Misskredit geraten ist, obschon es am billigsten verfügbar ist, entspricht im Grunde einem humanistischen Ansatz, weil es hier weniger um Profit als vielmehr um Verfügbarkeit ging. Der Impfstoff wurde weltweit auch am meisten genutzt. Allerdings ist die' Herstellung eines Vakzins ein extrem komplexer Prozess, der zugleich sehr hohe Produktionskapazitäten erfordert. BioNTech ist dabei, solche Kapazitäten in Ruanda und Senegal aufzubauen. Zur Problematik gehört ebenfalls, dass sich der Norden, verständlicherweise, zunächst um die eigenen Bedürfnisse gekümmert hat. Impfstoffüberschüsse wurden erst in den Süden geliefert, nachdem unsere Bevölkerungen durchgeimpft waren, was zu zeitlichen Verzögerungen führte. Andererseits machen auch lokale Begebenheiten die Sache nicht einfacher: Warum lassen sich viele Menschen in afrikanischen Ländern nicht impfen? Es fehlt an Information und Sensibilisierung. Wenn wir verhindern wollen, dass immer neue Virusvarianten auftauchen, müssen wir eine globale Lösung finden. Falls dies eine Patentfreigabe der Impfstoffe erfordert, sage ich: warum nicht? 

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